Wir sind so nah dran - doch wir brauchen immer noch 1,5 Mrd USD, um die Aufgabe zu vollenden. Hier sind die Gründe.
Frage: Wann kam Polio das letzte Mal in Europa vor? Wenn Sie jetzt sagen: 2002, in dem Jahr, in dem die Region als poliofrei zertifiziert wurde --- dann ist die Antwort leider falsch. Das letzte Vorkommen des die Poliomyelitis oder Kinderlähmung auslösenden Virus in Europa war 2015, als bei zwei Kindern in der Ukraine die Krankheit festgestellt wurde. Das bedeutet auch, dass viele mehr infiziert wurden, jedoch keine Symptome entwickeln. Mindestens eine westliche Nachrichtenagentur nannte den Ausbruch verrückt. Doch die Realität zeigt: Kein Ort auf der Welt ist letztlich vor Polio sicher, bis die Seuche nicht gänzlich ausgerottet ist.
Die Ukraine hatte nur 50 Prozent seiner Kinderbevölkerung gegen Polio geimpft – damit war der Ausbruch fast schon vorprogrammiert. In diesem Fall konnte sich eine seltene Mutation des im Impfserum vorhandenen geschwächten Virus verbreiten, da nicht genügend Kinder den Impfschutz erhalten hatten. Um den Ausbruch zu stoppen, mussten sechs Millionen Kinder notgeimpft werden.
Es ist sehr teuer, das weltweite hochentwickelte Impf- und Überwachungsnetzwerk aufrecht zu erhalten, das mit modernsten Mitteln jedes Vorkommen der Krankheit aufspürt. Dass es überhaupt existiert, ist ein Verdienst der Rotarier. Sie können stolz darauf sein, denn es gibt kein zweites dieser Art.
Stephen Cochi
Senior-Berater des Direktors der Globalen Impfabteilung bei den US-Gesundheitsbehörden CDC
Auch in anderen Ländern taucht der Erreger immer wieder auf, so zum Beispiel pünktlich zur Fußballweltmeisterschaft im Abwassersystem des Flughafens von São Paulo – eingeschleppt aus Äquator-Guinea (dass der Erreger so schnell zu seinem 6400 km entfernten Ausgangsort zurückverfolgt werden konnte, ist dem weiter unten erläuterten Laborsystem zu verdanken). Glücklicherweise war die Durchimpfungsrate (also die Zahl geimpfter Kinder gemessen an der Gesamtzahl) hoch genug, um einen Ausbruch zu verhindern.
So frustrierend dieses Beispiel für die vielen im Kampf gegen die Krankheit engagierten Rotarier/innen sein mögen, so zeigen sie doch nur auf, wie wir taktisch und strategisch reagieren müssen, um das tückische und hartnäckige Virus auszurotten. Nur eines ist klar: auch wenn wir bald die Polioübertragung weltweit stoppen können, so sind doch immer noch umfangreiche - und Spendengelder erfordernde – Impf- und Überwachungsmaßnahmen notwendig. Doch zurück zur Strategie. Nachfolgend die notwendigen Schritte, die für einen Erfolg unerlässlich sind.
Früherkennung
Die frühzeitige Erfassung von Infektionen ist einer der wichtigsten Aspekte in der erfolgreichen Bekämpfung von Polio. Die entsprechenden Überwachungsmaßnahmen sind teuer. Dabei wird das Monitoring aufgeteilt: erstens müssen behandelnde Ärzte und Gesundheitsbeamte besonders auf akute Lähmungssymptome bei Kindern achten und diese sofort melden. Zweitens müssen Gemeinwesen regelmäßig Proben an die Laborverbunde einschicken – besonders Proben aus Abwässern in Gemeinwesen, die über unzureichende sanitäre Anlagen verfügen, sowie aus naheliegenden Gewässern.
Was die Isolierung von Virusstämmen erschwert, ist einerseits die Tatsache, dass das Poliovirus für seine vielfachen Mutationen berüchtigt ist. Zum anderen ist es tückisch, dass 90 Prozent aller Infizierten keine Erkrankungssymptome zeigen. Bei den meisten anderen sind nur milde Symptome wie Fieber, Kopfschmerzen und Ermattung feststellbar. In nur einem von 200 Erkrankungsfällen kommt es zu den charakteristischen Lähmungen. Das erschwert nicht nur die Frühdiagnose, sondern ein festgestellter Erkrankungsfall stellt in der Regel die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs dar - als Hinweis auf Hunderte unentdeckter Virusträger. Um diese nicht in der Praxis erkannten Fälle auszumachen, werden in Risikogebieten besondere flächendeckende Umweltproben genommen.
Zudem ist es wichtig, dass nicht jede Lähmung gleich Kinderlähmung ist. Auch andere Viren können die poliotypische akute Schlafflähmung (acute flaccid paralysis) verursachen, zum Beispiel die sog. japanische Gehirnhautentzündung, das West-Nil-Virus oder das Zika-Virus. Und: eine zuverlässige Laborermittlung dauert mindestens 14 Tage, denn es müssen bei Verdachtsfällen zwei Stuhlproben im Abstand von zwei Wochen an das Labor eingeschickt werden.
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145.00Labore
führen weltweites Polio-Monitoring durch
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72.00Länder
werden so auf Erkrankungsfälle hin überwacht
Noch immer besteht in fünfzehn bis zwanzig Ländern ein sehr hohes Risiko – auch wenn die Übertragung des Wildvirus unterbrochen werden konnte. Nur konsequente Tests in Kläranlagen, Abwasserkanälen usw. können eine heimliche Wiederausbreitung verhindern. Die Global Polio Eradication Initiative (GPEI) — neben Rotary gehören ihr die Partner World Health Organization, die U.S. Centers for Disease Control and Prevention (CDC), UNICEF und die Bill & Melinda Gates Foundation an — hat dazu ein weltweites Netz von 145 Laboratorien aufgebaut, die die Proben bearbeiten. Rotary hat bei der Unterhaltung und Finanzierung dieser Labore wesentlich mitgewirkt. Denn dass diese Überwachung logistisch aufwendig und nicht billig ist, betont auch Stephen Cochi, Senior-Berater des Direktors der Globalen Impfabteilung bei den US-Gesundheitsbehörden CDC: "Es ist sehr teuer, das weltweite hochentwickelte Impf- und Überwachungsnetzwerk aufrecht zu erhalten, das mit modernsten Mitteln jedes Vorkommen der Krankheit aufspürt. Dass es überhaupt existiert, ist ein Verdienst der Rotarier. Sie können stolz darauf sein, denn es gibt kein zweites dieser Art."
In anderen Ländern sehen die Kosten ähnlich aus.
Impfung
Dass Wachsamkeit der Schlüssel ist, weiß auch Michel Zaffran, Direktor für Polioeradikation bei der WHO: Das sind quasi versteckte Kosten des Programms, von denen Leute in der Regel nicht viel hören, die aber trotzdem absolut notwendig sind für den Erfolg.” Das Beispiel Ukraine 2015 beweist, wie notwendig. Hingegen weiß man mittlerweile, dass die Kosten für den Impfstoff beileibe nicht mehr den größten Posten bei den Ausgaben stellen. Es wird immer teurer, damit den kleinen Prozentsatz von Kindern zu erreichen, die bisher nicht geimpft wurden. Dafür steigt der logistische Aufwand. Im Januar finanzierte ein Rotary Grant für Afghanistan die Mobilisierung von über 60.000 Impfhelfern und 3.100 Fahrzeugen. In Niger mussten derweil 17 Boote, 1.150 Transportkarren, 1071 Autos und 1.530 Motorräder finanziert werden, um die Impfungen zu ermöglichen.
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15.00Milliarden
Impfungen wurden seit 2000 verabreicht
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2.50Milliarden
Kinder wurden seit 1988 geimpft
Die ungeheure Komplexität der koordinierten Kampagnen ist vielen oft nicht klar, von der technischen Planung über die Koordination mit Regierungsstellen und religiösen Oberhäuptern bis hin zur tatsächlichen Ausführung, bei denen die Impfer von Tür zu Tür gehen, um die Schluckimpfung zu verabreichen. Umso mehr Respekt verlangt dann die Tatsache, dass Rotary und Partner seit 2000 15 Milliarden Impfdosen an über 2,5 Milliarden Kinder verabreicht haben. Das ist eine gigantische Leistung
Ausrottung - eine Daueraufgabe
Auch nach dem letzten Poliofall muss die Arbeit also weitergehen. Und das nicht nur, weil erst nach drei Jahren ohne eine einzige Neuerkrankung weltweit die WHO-Zertifizierung erfolgen kann. Um auch in der Zukunft dem Virus keine Chance zu lassen, muss auch der Impfstoff selbst verändert werden.
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$50.00Milliarden
ist der Gesamtkostenvorteil einer Vorbeugung von Polio
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200000.00Fälle
von Polio werden bei einer Einstellung von Impfkampagnen pro Jahr erwartet
Die heutige Schluckimpfung enthält noch einen abgeschwächten Lebendvirus. Dieser Impfstoff war effektiv und preiswert, um Polio 99,9 Prozent zurückzudrängen. Doch besteht stets die potentielle Gefahr, dass aus dem Vakzin wieder vollvirulente Mutationen entkommen können. Daher werden nach der Ausrottung des Virus alle Impfstoffe mit Lebendviren vernichtet und durch einen bereits jetzt eingesetzten injizierbaren Impfstoff ersetzt, der nicht mehr das Virus enthält. Und diese Polioimpfungen werden dann Teil des weltweiten Routineimpfprogramms. Das heißt aber für die globale Initiative, dass Impfkampagnen bis mindestens 2020 weitergeführt werden müssen. Und das heißt, dass auch die Rotarier bis dahin durchhalten müssen. "Wir sind wirklich so nah dran", betont einmal mehr auch John Sever, Vizevorsitzender des Rotarys International PolioPlus Committee und von Anfang an bei der Kampagne dabei. "Aber wir müssen weitermachen und die Rotarier bei der Stange halten. Es ist natürlich, dass viele sagen: OK, wir haben das Ding so ziemlich erreicht, lasst uns also zu neuen Projekten übergehen. Aber die Tatsache ist, dass die Krankheit ein Comeback erleben kann, wenn wir den Job nicht zu 100% erledigen."
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1-Mar-2017